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„Wir brauchen eine Architektur paralleler Bildungswege“

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„Wir brauchen eine Architektur paralleler Bildungswege“

didacta Hannover 2015 – die Bildungsmesse (24. bis 28. Februar):

„Wir brauchen eine Architektur paralleler Bildungswege“

Interview mit Prof. Dr. Felix Rauner über Akademisierungswahn und Verberuflichung der Hochschulbildung

Hannover. In Deutschland entscheiden sich mittlerweile mehr Schulabgänger für ein Studium als für eine duale Ausbildung. Mit welchen Folgen? Bildungsexperten und Politiker streiten seit einigen Jahren über das Für und Wider dieser Entwicklung. Es ist bereits vom Akademisierungswahn oder von der Akademisierungsfalle die Rede und davon, dass die duale Berufsausbildung – bisher ein Aushängeschild deutscher Bildungspolitik – immer weniger zählt. Sind diese Vorwürfe berechtigt? Und was muss sich möglicherweise am Bildungssystem ändern, damit es zukunftsfähig bleibt? Der Berufsbildungsexperte Prof. Dr. Felix Rauner von der Universität Bremen beantwortet Fragen.

Sie haben bereits frühzeitig vor dem „Akademisierungstrend“ gewarnt. Fühlen Sie sich in Ihrer Kritik bestätigt?

Felix Rauner: Entscheidend ist die Kehrseite dieser Medaille „Akademisierungswahn“. Das ist die Verberuflichung der hochschulischen Bildung. Zehn bis zwölf Prozent der Studierenden absolvieren ein wissenschaftliches Studium im humboldtschen Sinne. Alle anderen befinden sich in Studiengängen, die diesen Zusammenhang von Forschung und Lehre gar nicht mehr aufrechterhalten. Viele Hochschulen haben sich im Zuge der Bologna-Reform dem neuen Paradigma unterworfen, berufsqualifizierende Studiengänge einzurichten. Das war ja früher ein Sakrileg. Jetzt ist es die neue Leitidee.

Mit welchen Folgen?

Felix Rauner: Wir zählen mittlerweile in Deutschland mehr als 2 000 Fächer in den Bachelor- und Master-Studiengängen. Dieses Angebot gleicht einem undurchschaubaren Dschungel von Spezialfächern, für die sich der Begriff der „Mickey Mouse“-Fächer eingebürgert hat. Unter dem in der Verfassung verbrieften Schutz der Freiheit von Forschung und Lehre werden jetzt von den zuständigen Organen der Hochschulen so genannte berufsqualifizierende Bildungsgänge etabliert. Übersehen wird dabei, dass sich die Freiheit von Forschung und Lehre auf die wissenschaftliche und nicht auf die berufsqualifizierende Lehre bezieht. Diese wird durch das Berufsbildungsgesetz geregelt. Noch sorgt der gute Ruf der Hochschulen dafür, dass sich viele Jugendliche für ein Studium entscheiden. Doch schon müssen die ersten Bachelor-Absolventen Umschulungsangebote der Bundesagentur für Arbeit annehmen, weil sie keinen adäquaten Arbeitsplatz finden. Kürzlich traf ich eine Absolventin, die mit ihrem Bachelor „Management für NGOS“ keine Stelle bekommen hat und nun in einer Maßnahme lernt, EU-Förderanträge auszufüllen.

Lässt sich dieser Entwicklung denn noch entgegenwirken?

Felix Rauner: Ja. Ich plädiere für eine Architektur paralleler Bildungswege. Und das heißt: Es gibt einen akademischen Bildungsweg für etwa 20 Prozent der Studierenden, die für wissenschaftliche Aufgaben qualifiziert werden. Das ist das, was Universitäten eigentlich leisten sollen. Die Exzellenzinitiative hat das aus guten Gründen unterstützt. Diese Tradition der Verschränkung von Forschung und Lehre ist für die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung außerordentlich wichtig. Es hat keinen Sinn, Zugangsschwellen an den Universitäten abzusenken, um das so genannte Übergangsproblem von der beruflichen zur hochschulischen Bildung zu lösen. Die Regelung der KMK, Meister zum akademischen Studium zuzulassen, verfehlt weitgehend ihren Zweck. Wenn ein Elektro-Meister sich in einer Grundlagenveranstaltung mit Maxwellschen Gleichungen und quellenfreien Feldern befassen muss, wird er sich denken, er sei „im falschen Film“. Und selbst, wenn er drei Jahre durchhalten würde, würde der Zuwachs an theoretischem Wissen den Verlust an Arbeitserfahrung und Meisterkompetenz kaum ausgleichen.

„Architektur paralleler Bildungswege“ hingegen bedeutet: Ein durchgängiger dualer Bildungsweg beginnt mit der dualen Berufsausbildung. Daran schließen sich die „echten“ dualen Bachelor-Studiengänge an, idealerweise mit der Option einer Doppelqualifikation zum Meister und „Bachelor Professionell“. Für Meister bietet sich ein Studium in dualen Master-Studiengängen an. Schließlich ist die Einführung eines „PhD Professionell“, um Zusammenhangswissen zu erforschen, eine wichtige Ergänzung zur disziplinären Forschung. Überall, wo Führungskräfte benötigt werden, brauchen wir diese neue Form der Meisterschaft. Und: Mit einem durchgängigen dualen Bildungsweg würde die duale Berufsausbildung aufgewertet. Dass an der Ausgestaltung eines durchgängigen dualen Bildungsweges die Organisationen der Arbeitswelt und die Berufsbildungsforschung beteiligt werden müssen, versteht sich von selbst.

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